Erinnerung an die Opfer der Euthanasie im Faschismus

13. April 2018

Antrag zur Sitzung des Bezirksausschusses am 26. April 2018
Erinnerung an die Opfer der Euthanasie im Faschismus – Aufarbeitung der Geschichte

Sehr geehrter Herr Bezirkstagspräsident,

mit der Präsentation der Ausstellung „Plötzlich gestorben – NS-Rassenhygiene 1933-45“ im Bezirksrathaus setzt der Bezirk nach der Errichtung von Mahnmal und Museum in Ansbach sowie der Errichtung einer Gedenkstele im Klinikum Engelthal ein erneutes Zeichen der Erinnerung an die Opfer der Euthanasie im Faschismus.

Die Ausstellung, die das Zentrum selbstbestimmtes Leben (ZSL) 2014 in Zusammenarbeit mit der „gruppo diffuso“ und dem Stadtarchiv Erlangen gezeigt und durch eine vielbeachtete Vortragsreihe ergänzt hatte, beschäftigt sich mit den ideologischen Hintergründen, den Verbrechen der Nazis, der Situation in Mittelfranken und in Erlangen, aber auch mit den Folgen für die Betroffenen und die Täter*innen.

Im Rahmen der sogenannten T4-Aktion wurden vom 1. November 1940 bis zum 24. Juni 1941 insgesamt 908 Patienten, 347 Männer und 561 Frauen, aus der Erlanger Heil- und Pflegeanstalt in Tötungsanstalten gebracht. 531 stammten aus der Erlanger Einrichtung, 377 aus karitativen Pflegeanstalten und den Vorläufern der Bezirkskliniken Ober- und Mittelfranken, die ab Oktober 1940 nach Erlangen verlegt worden waren.

Mit einem verklausulierten Erlass Hitlers hatte die nationalsozialistische Euthanasie-Aktion begonnen. Einerseits war Hitler nicht bereit, den Befehl zu Ermordung sogenannter Geisteskranker schriftlich zu erteilen; andererseits forderten die Spitzen der staatlichen Verwaltung eine formale Regelung als Grundlage für die Durchführung der Vernichtungsmaßnahme. Daher hielt der „Führer und Reichskanzler“ unter dem 1.9.1939 auf privatem Briefpapier Folgendes fest:
„Reichsleiter Bouhler (Chef der Kanzlei des Führers) und Dr. Brandt (Hitlers Leibarzt) sind unter Verantwortung beauftragt, die Befugnisse namentlich zu bestimmender Ärzte so weit zu erweitern, daß nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischer Beurteilung ihres Krankheitszustandes der Gnadentod gewährt werden kann.“

Es bleibt festzuhalten, dass Hitler zwar das Recht hatte, Gesetze zu erlassen; aber weder nach Form noch nach dem Inhalt deckt dieser Erlass die Ermordung tausender Kranker aus den Anstalten ab. Sogar nach den damaligen Gesetzen war und blieb diese Euthanasie strafbar. Die Bezirkskliniken Mittelfranken unterstützen die wissenschaftliche Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels Erlanger Psychiatriegeschichte. Zudem haben bereits in den 90er Jahren Beschäftigte der psychiatrischen Klinik aus eigener Initiative am ehemaligen Standort der Verwaltung der Heil- und Pflegeanstalt einen Gedenkstein aufgestellt.

Frau Dinah Radtke, seit Jahren aktiv in der internationalen Bewegung der „disabled people's association“, Mitverfasserin der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen und Protagonistin für eine gegenwartsbezogene Erinnerung an die Ermordung behinderter Menschen im Hitlerregime hat in ihrer Rede zur Ausstellungseröffnung den Bezirk aufgefordert, für die öffentliche Dokumentation der Namen aller Opfer im Bezirk zu sorgen. Sie berichtete, dass angesichts der systematischen Deportation und Ermordung tausender Menschen mit psychischer und geistiger Behinderung in Erlangen inzwischen ein Beirat gebildet wurde mit dem Ziel, einen angemessenen Ort der Erinnerung an die Opfer, aber auch zur aktiven Auseinandersetzung mit den Hintergründen des Massenmords und der Lehren für die Gegenwart für und Zukunft zu schaffen. Partner in diesem Beirat sind auch die Bezirksklinken Mittelfranken.

Viele Bürgerinnen und Bürger hätten – so Frau Radtke – den Wunsch, dass in dieses Erinnern auch der letzte noch erhaltene, von der FAU jedoch wegen Neubebauung zum Abriss vorgesehene, historische Gebäudekomplex der ehemaligen Heil- und Pflegeanstalt („Hupfla“) Erlangen einbezogen wird. Die Aufarbeitung und Dokumentation der Geschichte bekäme damit einen im Stadtbild sicht- und begreifbaren Ort. Das würde die notwendige gegenwartsbezogene Erinnerungsarbeit nachhaltig unterstützen.

Die Ausstellung im Bezirksrathaus und die bisherigen Aktivitäten des Bezirks und seiner Kliniken bei der Aufarbeitung der Geschichte der Euthanasie in Mittelfranken nehmen wir zum Anlass für folgenden Antrag:

  • Die Bezirkskliniken und das Kulturreferat des Bezirks berichten im Bezirksausschuss über den aktuellen Stand der Aufarbeitung und der Arbeit am Konzept des Erinnerungsortes und der wissenschaftlichen Aufarbeitung durch Herrn Professor Dr. Leven, FAU.
  • Dabei soll auf folgende Frage eingegangen werden: Wie können der Bezirk und die Bezirkskliniken verstärkt dazu beitragen, die weitere Entwicklung zur Schaffung des Erinnerungsortes und zur Vollendung der wissenschaftlichen Aufarbeitung zu unterstützen?
  • Die Namen aller Opfer müssen wahrnehmbar und öffentlich zugänglich dokumentiert werden.
  • Vor dem Hintergrund der Pflichtaufgabe des Bezirks im Bereich der Denkmalpflege soll auch erörtert werden, was der Bezirk zur Erhaltung des ganzen oder zumindest von Teilen des noch bestehenden Gebäudekomplexes der „Hupfla“ beitragen kann: Noch stehen baurechtlich nicht alle Entscheidungen der FAU fest, den historischen Bestand endgültig vollständig abzubrechen, um neuen Gebäuden Platz zu machen. Der Bezirk Mittelfranken kann im Rahmen seiner Pflichtaufgabe „Denkmalpflege“ mit dem dafür zur Verfügung stehenden begrenzten Haushaltsetat keinen entscheidenden finanziellen, wohl aber einen nachdrücklichen ideellen Beitrag zur Erhaltung des Gebäudes bzw. von Gebäudeteilen leisten; Beispiele von gelungenen Verbindungen historischer Bausubstanz und moderner Architektur gibt es genügend. Es soll daher eine Initiative des Bezirkstages an die Adressen der bayerischen Staatsregierung, der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) sowie an die Universitätskliniken erfolgen mit dem Ziel, Geschichte und Gegenwart des Wissenschaftsstandortes Erlangen miteinander in Einklang zu bringen.

Mehr denn je kommt es darauf an, die Geschichte der Euthanasie fundiert aufzuarbeiten und im Alltag sichtbar zu machen. Dokumentation und Gestaltung sollen nicht nur mahnen, sie sollen Impulse setzen zum Nachdenken über das vergangene Unfassbare, aber auch zur Reflexion über das eugenische Denken der Gegenwart. Wir alle sind es den Opfern von damals schuldig.

*) Anmerkung der Antragsverfasser

Mit freundlichen Grüßen

gez.

Gisela Niclas, Fraktionsvorsitzende SPD-Bezirkstagsfraktion
Peter Daniel Forster, Fraktionsvorsitzender CSU-Bezirkstagsfraktion