Politik als Herzenssache - "Durch politisches Engagement kann man etwas verändern"

07. März 2021

aus der Zeitung "Der bayerische Bürgermeister", Ausgabe Februar 2021

Christa Naaß, Stellvertretende Bezirkstagspräsidentin von Mittelfranken und Dritte Vizepräsidentin des Bayerischen Bezirketags

"Mich selbst einbringen für das Lernziel Solidarität" - dieser Leitspruch entwickelte sich durch mein Aufwachsen in einem sehr politischen Elternhaus und prägte mein ganzes Leben. Deshalb war es seit meiner Jugend für mich selbstverständlich, sich für andere einzusetzen: in der Schülermitverwaltung, in der Katholischen Jugend, in der Behindertenarbeit, beim Kreisjugendring, im Elternbeirat des Kindergartens sowie der Schule und später dann in verschiedenen Funktionen in der SPD und als Kommunal- und Landespolitikerin.

Einsatz für die Gleichstellung von Frauen

Welche politischen Hürden man besonders als Frau zu überwinden hatte, um etwas durchzusetzen, merkte ich bald. Als ich als junge Mutter mit zwei kleinen Kindern die erste Mutter-Kind-Spielgruppe in unserer Region gründen wollte und nach passenden Räumlichkeiten suchte, wurde mir ein angedachter Raum in einem Jugendzentrum mit der Begründung verwehrt, "weil dadurch parteipolitische Aktivitäten ins Jugendzentrum getragen würden". Fündig wurde ich dann zum Glück in dem Mutter-Kind-Kurheim der Arbeiterwohlfahrt. Frauenpolitisch gab es damals in den 80er und 90er Jahren noch wesentlich größere Defizite als heutzutage. Zur Erstellung und Finanzierung eines speziellen Handbuchs über vorhandene Hilfsangebote für Frauen - was es in meinem Landkreis bis dato nicht gab - nahm ich Kontakt mit der Leitstelle für die Gleichstellung von Frauen und Männern der Bayerischen Staatsregierung auf. Und es hat funktioniert! Das erste Frauenhandbuch wurde im April 1992 der Öffentlichkeit vorgestellt. Dabei wurde ein weiteres Defizit offenkundig: Das Fehlen einer Frauenbeauftragten im Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen. Der damalige CSU-Fraktionsvorsitzende entgegnete mir im Kreistag, dessen Mitglied ich seit 1990 bin, als ich eine entsprechende Stelle einforderte: "Wenn Frauen ein Problem haben, sollen sie zum Pfarrer gehen". Zahlreiche Anträge im Kreistag sowie öffentlichkeitswirksame Aktivitäten führten dann doch zum Erfolg. Allerdings erst dann, als der Bayerische Landtag im Jahr 1996 ein Gleichstellungsgesetz beschloss und daraufhin mein Landkreis als letzter Landkreis in ganz Bayern tätig werden musste.

Erfahrungen als Kommunal- und Landespolitikerin

In der Presse wurde ich - als neugewählte Kreis- und Gemeinderätin im Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen - als eine „Mischung aus Polit-Missionarin und sozialpolitischem Maschinengewehr" bezeichnet. Ja, ich habe es immer als meine Aufgabe angesehen, Defizite beim Namen zu nennen, wobei ich als Kommunalpolitikerin neben der Gleichstellungspolitik ein besonderes Augenmerk auf die Kinder- und Jugendpolitik und die Selbsthilfearbeit gelegt habe. Unter dem Motto „Miteinander-Füreinander" organisierte ich die Zusammenarbeit aller Selbsthilfegruppen im Landkreis.
1994 wurde ich erstmals für den Wahlkreis Mittelfranken in den Bayerischen Landtag gewählt. Ich strebte als Kommunalpolitikern auch deshalb ein Landtagsmandat an, um Einfluss auf die Gesetzgebung nehmen zu können, die leider nicht immer so kommunalfreundlich ausfiel und ausfällt, wie ich mir das vorstelle. Nach wie vor fehlt es an einer verlässlichen Finanzierung der bayerischen Kommunen, um die zahlreichen und zusätzlichen Aufgabenstellungen gerade im Hinblick auf die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes und des Bayerischen Teilhabegesetzes erfüllen zu können.
Auch als Mitglied des Bayerischen Landtages - was ich 19 Jahre lang bis zu meinem Wechsel in den mittelfränkischen Bezirkstag im Jahr 2013 war - versuchte ich, "Menschen für Politik zu begeistern" und vor allem jungen Menschen aufzuzeigen, dass man etwas verändern kann, wenn man sich einmischt.
Meine kommunalpolitische Erfahrung konnte ich im Bayerischen Landtag gut im Petitionsausschuss, im Ausschuss für Fragen des Öffentlichen Dienstes, im Kommunalausschuss und im Finanz- und Haushaltsausschuss einbringen. Und die Erfahrungen aus dem Bayerischen Landtag sowie die Kontakte in die Ministerien sind wiederum von Vorteil bei meiner derzeitigen Arbeit im mittelfränkischen Bezirkstag als Stellvertretende Bezirkstagspräsidentin - ein Amt, das ich seit 2013 inne habe - sowie als Dritte Vizepräsidentin des Bayerischen Bezirketages, dem Kommunalen Spitzenverband der bayerischen Bezirke. So kenne ich als Gemeinde-, Kreis- und Bezirksrätin sowie als langjährige Abgeordnete nun beide Seiten.

"Wir werden in Zukunft mehr Sozialstaat brauchen"

Als Oppositionspolitikerin im Bayerischen Landtag blieb es oft dabei, inhaltlich gute und fundierte Anträge zu stellen, wohl wissend, dass diese erst einmal abgelehnt, aber nach gewisser Zeit in abgeänderter Form doch umgesetzt werden. Als Beispiel erinnere ich an die SPD-Forderungen nach mehr Kinder- und Ganztagsbetreuung, die sogar noch Ende der 90er Jahre von der damaligen Regierungspartei als „sozialistisches Teufelsgut" abgetan wurden.
Als Bezirkspolitikerin schätze ich die Möglichkeiten, an der direkten Umsetzung von Forderungen, Vorhaben sowie an der Lösung von Problemen mitwirken zu können. Entscheidend sind für mich jedoch die persönliche Einstellung und die Bereitschaft, sich auf die Probleme der Menschen einzulassen - egal auf welchen Ebenen man arbeitet.
Dies zeigt sich gerade jetzt in einer durch die Corona-Pandemie für viele Menschen schwierigen Zeit, in der wir außergewöhnliche Herausforderungen bewältigen müssen. Dies hat uns bewusst gemacht, dass wir uns gegenseitig brauchen, aber auch wie gut es ist, in einem funktionierenden Sozialstaat zu leben. Wir werden in Zukunft nicht weniger, sondern mehr Sozialstaat brauchen!
Begegnungen von Menschen in der Familie, mit Freunden, am Arbeitsplatz, in Einrichtungen, Kirchengemeinden, Vereinen, Verbänden und in der Politik sind die Grundlagen einer lebendigen, vielfältigen Gesellschaft. Notwendige Kontaktbeschränkungen treffen ganz besonders Menschen mit Behinderung, psychisch oder an einer Sucht Erkrankte sowie Pflegebedürftige in Heimen.
Deshalb war es mir sehr wichtig, dass die sozialen Hilfen zum Wohl der Menschen aufrechterhalten werden. Zum Beispiel in Mittelfranken wurde sogar eine Verstärkung der Mittel für ambulante Hilfen im psychosozialen Bereich bei den Haushaltsberatungen parteiübergreifend erreicht.
Die Erfahrungen haben gezeigt, dass gerade in Krisenzeiten ein deutlicher Anstieg von Betreuungsbedarfen erkennbar wurde, der Suchtmittelkonsum stieg und es zu Rückfälligkeiten kam. Als Leiterin des Runden Tisches Sucht des Bezirks Mittelfranken war ich froh, dass sich der Bezirkstag der Forderung des Gremiums angeschlossen und sich an die Bayerische Staatsregierung gewandt hat. Ziel ist es, dass psychosoziale Suchthilfearbeit ebenso als systemrelevant anerkannt wird, wie die Selbsthilfearbeit in der Suchthilfe.

Einsatz für die Kulturarbeit

Die Arbeit im mittelfränkischen Bezirkstag sowie auf Verbandsebene beschränkt sich aber nicht nur auf das Gebiet der Gesundheits- und Sozialpolitik, sondern umfasst auch den Kulturbereich. Brauchtum und Heimatpflege, Denkmalschutz und Denkmalpflege gehören dazu. Und hier schließt sich für mich der Kreis zu einem meiner Ehrenämter als Generalsekretärin des Sudetendeutschen Rates, das ich seit dem Jahr 2014 ausübe. Denn die sieben bayerischen Bezirke unterstützen den vierten Stamm Bayerns, die Sudetendeutschen, u. a. durch die Mitfinanzierung der Heimatpflegerin der Sudetendeutschen, mit der ich regelmäßig zusammenarbeite.
Als Beauftragte des Bezirks Mittelfranken liegen mir besonders die Partnerschaft mit der Woiwodschaft Pommern in Polen sowie der Ausbau der Kontakte mit der Region Südmähren in Tschechien am Herzen. Diese Partnerschaften dienen dem Frieden, der Völkerverständigung und sind wichtige Brückenbauer in Zeiten des Erstarkens nationalistischer Bewegungen.
Angesichts der Corona-Krise wird besonders deutlich, dass kein Land allein die wirtschaftlichen und sozialen Bedrohungen lösen kann. Deshalb werden mehr Zusammenarbeit und sozialer Zusammenhalt benötigt anstatt weniger, ganz nach dem Motto „mein Land zuerst". Als Europa zwischen anderen Macht- und Wirtschaftsblöcken haben wir nur gemeinsam die Chance, eine gute und friedliche Zukunft zu sichern. Demokratie, Rechtsstaat und soziale Marktwirtschaft - das sind die Grundsätze eines einigen und souveränen Europas. Dafür auf den verschiedenen politischen Ebenen nach wie vor arbeiten zu dürfen, bereitet mir nach so vielen Jahrzehnten Politik immer noch große Freude.

Kurz-Vita

Geburtsdatum: 12. Februar 1955
Geburtsort: Gunzenhausen
Politische Stationen:
seit 1990 - Gemeinderätin in der Gemeinde Haundorf
seit 1990 - Kreisrätin im Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen
1994 - 2013 - Mitglied des Bayerischen Landtags
1998 - 2008 - Mitglied des Präsidiums des Bayerischen Landtags
seit 2013 - Mitglied des Bezirkstags von Mittelfranken und Stellvertreterin des Bezirkstagspräsidenten
seit 2013 - Mitglied im Hauptausschuss und in der Vollversammlung des Bayerischen Bezirketags
2017 /2018 - Wahl zur zweiten Vizepräsidentin und Schatzmeisterin des Bayerischen Bezirketags
2019 - Wahl zur dritten Vizepräsidentin des Bayerischen Bezirketags

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