Stellungnahme der SPD-Bezirkstagsfraktion Mittelfranken zum Entwurf des Bundesteilhabegesetzes

06. Juli 2016

Das Bundesteilhabegesetz ist eine der großen sozialpolitischen Reformen in dieser Legislaturperiode. Unser Ziel ist es, Teilhabe und Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderungen zu schaffen. Mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf sind wichtige und richtige Schritte in diese Richtung gemacht worden, wie z.B. ein bundeseinheitliches Verfahren zur Bedarfsfeststellung unter Beteiligung der Betroffenen, Verbesserung der Abstimmung zwischen den einzelnen Leistungsträgern, Einstieg in die Freistellung von Einkommen und Vermögen, Einrichtung unabhängiger Beratungsstellen, das Budget für Arbeit als Alternative zur Beschäftigung in einer Werkstatt, bessere Mitbestimmung und Mitwirkung von Werkstatträten u.a..

Der von der Behindertenrechtskonvention und den Betroffenen geforderte Paradigmenwechsel von der Fürsorgeleistung zu einem gerechten Ausgleich der Benachteiligung von Menschen mit Behinderung ist allerdings noch nicht erreicht.

Nach dem vorliegenden Entwurf ist davon auszugehen, dass die Betroffenen nach wie vor das günstigste Wohn- und Hilfeangebot annehmen müssen. Die Entscheidung treffen damit letztendlich die Kostenträger. Gleichberechtigte Teilhabe und Selbstbestimmung bedeutet aber konsequente Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts. Ebenso gehört dazu das persönliche Teilhabegeld, zumindest aber der Einstieg. Dabei wäre auch die Finanzierung dieser Leistungen klar zu regeln: Bund, Land und Bezirk (bzw. die in anderen Bundesländern zuständigen kommunalen Kostenträger) sollten die Kosten zu je einem Drittel übernehmen.

Anstelle des Einstiegs in ein persönliches Teilhabegeld ist parallel, aber unabhängig zur Einführung des BTHG eine weitere Verbesserung der Finanzausstattung der Kommunen geplant. Angesichts der immensen Aufgaben der Städte und Gemeinden bei der Integration von Flüchtlingen und der Schaffung von ausreichendem und bezahlbarem Wohnraum für Menschen mit niedrigem Einkommen ist dies grundsätzlich zu begrüßen; es muss jedoch sicher gestellt werden, dass beim Einsatz und der Verteilung von Finanzmitteln die Interessen von Menschen mit Behinderung nicht ins Hintertreffen geraten. Ein Staat, der Banken mit Milliardenbeträgen „rettet“, muss im Interesse seiner Glaubwürdigkeit auch in der Lage sein, Inklusion zweckgebunden und angemessen zu finanzieren.

Wir unterstreichen daher die Feststellung von Verena Bentele, der Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen: „Die Menschen mit Behinderungen wurden im vergangenen Jahr vom Bundesarbeitsministerium vorbildlich an den Vorbereitungen des BTHG beteiligt. Jetzt aber liegt ein Gesetzesentwurf vor, in dem die Betroffenen wichtige Forderungen nicht erfüllt sehen. Aus der bisherigen Beteiligung wird Stück für Stück Protest. Damit dieser nicht ungehört verhallt, setze ich mich gemeinsam mit den Verbänden der Menschen mit Behinderungen dafür ein, dass es noch Änderungen an dem Gesetz geben wird. Dafür muss weiter das Expertenwissen der Menschen mit Behinderungen einbezogen werden. Nur so werden sich alle letztlich hinter das Bundesteilhabegesetz stellen können und wir gemeinsam mit Ministerin Nahles das Ziel erreichen, ein gutes Bundesteilhabegesetz zu schaffen.“

Unsere Werte Solidarität, Gerechtigkeit und Achtung der Menschenrechte in unserer Gesellschaft verpflichten uns zur bestmöglichen Verbesserung des vorliegenden Gesetzesentwurfs.

In diesem Sinn unterstützen wir die Feststellung der SPD-Bundestagsfraktion in ihrer Pressemitteilung am 28.6.2016: „Das Bundesteilhabegesetz ist ein großer Schritt mit deutlichen Verbesserungen und der Einstieg, um Menschen mit Assistenzbedarf aus der Sozialhilfe zu holen. Nichtsdestotrotz sehen wir aber auch noch weiteren Ergänzungsbedarf. Im parlamentarischen Verfahren wird sich die SPD-Bundestagsfraktion für weitere Verbesserungen im Sinne der Betroffenen einsetzen.“

Die inzwischen laufende breite Debatte zum Gesetzesentwurf des BTHG verdeutlicht die Notwendigkeit der politischen Nacharbeit. Wir fordern die SPD-Bundestagsfraktion auf, sich v.a. in folgenden Punkten für weitergehende Verbesserungen am vorliegenden Entwurf einzusetzen:

  • Menschen mit Behinderung haben Anspruch auf gleichwertige Lebensbedingungen unabhängig von ihrem Wohnort. Das neue Gesetz muss bundeseinheitlich gleiche Zugangsregelungen zur Eingliederungshilfe sicherstellen.

  • Menschen mit Behinderung darf der Zugang zur Eingliederungshilfe nicht erschwert werden. Durch die beabsichtigte neue Regelung (in 5 aus 9 Lebensbereichen muss ein Hilfebedarf nachgewiesen werden) laufen Menschen mit bereits bestehendem Leistungsanspruch Gefahr, aus der Eingliederungshilfe herausfallen; Menschen mit künftigem Bedarf wird der Zugang erschwert.

  • Der nachhaltige Aufbau und die dauerhafte Finanzierung unabhängiger Beratung unter Einbeziehung des „Peer-Counselings“ ist zu gewährleisten.

  • Die personenzentrierte Gewährung von Eingliederungshilfe in einem Teilhabeplanverfahren („Eingliederungshilfe wie aus einer Hand“) darf zu keiner Ausweitung von Bürokratie führen. Die Kostenträger einzelner Leistungen sind zur Zusammenarbeit zu verpflichten.

  • Das durch die Behindertenrechtskonvention garantierte Wunsch- und Wahlrecht in der Lebensgestaltung von Menschen mit Behinderung darf durch den Kostenvorbehalt nicht konterkariert werden. Bei der verbesserten Teilhabe am Arbeitsleben durch größere Auswahlmöglichkeiten müssen gleiche Qualitätsstandards gewährleistet werden. Ein Rückkehrrecht in die WfbM ist ohne Nachteile für den Rentenanspruch zu gewährleisten.

  • Bezug von Eingliederungshilfe und Leistungen der Pflegeversicherung dürfen sich nicht ausschließen. Kein „Abschieben“ in die Pflege!

  • Das Ziel, die Eingliederungshilfe unabhängig von Anrechnung von Einkommen und Vermögen der Betroffenen und ihrer Angehörigen zu gewähren, muss mit Nachdruck weiter verfolgt werden.

Der Freistaat Bayern wird aufgefordert, bei der Verteilung der Bundesmittel für die Kommunen auf Länderebene und beim Finanzausgleich nach § 15 FAG den Bezirken als 3. kommunale Ebene und Kostenträger der Eingliederungshilfe ausreichende Mittel zur Erfüllung ihrer Aufgaben bei der Umsetzung des künftigen BThG direkt zur Verfügung zu stellen. Die SPD-Landtagsfraktion wird gebeten, zu gegebener Zeit die hierfür erforderliche politische Initiative zu unternehmen.

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