Stellungnahme der SPD-Bezirkstagsfraktion zu TOP 4 "Anpassungen der Regelungen zur Beförderung von Menschen mit Behinderungen" im Bezirkstag vom 26.10.2021

26. Oktober 2021

Redebeitrag von Gisela Niclas

Ansbach, 26.10.2021

Anrede,

nach rund 1 1/2 Jahren zum Teil sehr zäher Debatten in Fraktionsvorsitzendenrunden, diversen Arbeitsgruppen und Gremienberatungen befassen uns wir heute im Bezirkstag mit einer wesentlichen Änderung der Mobilitätshilfen für Menschen mit Behinderung. Das Besondere an dieser Leistung ist, dass die Politik über Umfang und Struktur dieser gesetzlich vorgeschriebenen Hilfen ganz allein bestimmen kann. Unser Mittelfranken-BFD ist vorbildlich, kein anderer Bezirk bietet Vergleichbares. Statt zu streichen sollten wir stolz sein auf unsere Leistung!

Deswegen stelle ich gleich zu Beginn fest:

Unser Behindertenfahrdienst ist kein Luxus. Er ist eine ganz wichtige Mobilitätshilfe für Menschen mit Behinderung zur Sicherung der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.

In den Debattenrunden im Vorfeld habe ich mehr als einmal darauf hingewiesen, dass ich in Corona-Zeiten eine so weitreichende Strukturveränderung für ein fatales sozialpolitisches Signal nicht nur an Menschen mit Behinderung halte. Sie sind seit Monaten in ihren Teilhabechancen noch mehr als sonst beeinträchtigt. Für diese Entscheidung wäre auch im nächsten Jahr noch Zeit gewesen. Wir hätten dann eine genauere Einschätzung des Nutzer- und Nutzerinnen-Verhaltens gehabt. Die Ausgaben im Behindertenfahrdienst sind bereits in 2020 auf 9 ½ Mio € gesunken, in 2021 werden wir wieder unter 10 Mio. bleiben. Ich bedaure es sehr, dass meine Sorge keinen Widerhall gefunden hat.

Warum beschließen wir heute überhaupt Änderungen?

Auslöser für all die Debatten war eine CSU-Forderung beim Haushalts-Beschluss 2019 an die Verwaltung, Vorschläge zur Ausgabenreduzierung im Haushalt vorzulegen. Wieder stand – nicht zum ersten Mal in diesem Bezirkstag wie erwartet – der „Behindertenfahrtendienst“ mit 12 Millionen Kosten im Jahr ganz obenan. Vorgeschlagen wurde die Streichung der Fahrtfeldvariante. Künftig soll es nur noch die Kilometerpauschale für alle geben. Dafür zeichnete sich im Unterschied zu früheren Jahren bald eine Mehrheit ab.

Wir als SPD-Fraktion sehen sehr wohl, dass die Streichung der Fahrtfeldvariante eine deutliche Verwaltungsvereinfachung und eine Kostendämpfung bedeutet; uns war es aber von Anfang an vor allem wichtig, für die immerhin 1844 Nutzerinnen und Nutzer der Fahrtfeldvariante mit einem Rechtsanspruch auf 6000 km einen fairen Nachteilsausgleich durch Erhöhung der Kilometerpauschale zu schaffen und – z.B. durch Einsatz von Digitalisierung – die künftige Handhabung einfach und barrierefrei zu gestalten. Der Vorschlag des mittelfränkischen Behindertenrates, die Kilometerpauschale um je 20 % oder 300 und 400 Euro für Stadt und Land zu erhöhen, wäre für uns ein fairer Nachteilsausgleich. Aber auch dafür zeichnete sich bisher leider keine Mehrheit ab. CSU, Freie Ökologen und AfD haben im Sozialausschuss und im Bezirksausschuss sogar für die ersatzlose Streichung votiert. Ich hoffe sehr, dass diese Haltung später bei der Abstimmung im Bezirkstagsplenum keine Mehrheit findet. Wir als SPD lehnen eine Streichung der Fahrtfeldvariante ohne Nachteilsausgleich ab. Wir wollen bei Wegfall eine Aufstockung der Kilometerpauschale mindestens um 200 km. Wir hoffen sehr, dass dieser kleinste gemeinsame Nenner auch für die Fraktion der Freien Wähler tragbar ist. Weitere Einschnitte in die Richtlinie, wie von der CSU vorgeschlagen, z.B. die Reduzierung der Leistung für Menschen mit Behinderung, in deren Familie ein Kfz vorhanden ist oder für Menschen in Wohn- und Pflegeheimen, lehnen wir entschieden ab.

Anrede,

Bezüglich des Satzes auf Seite 6/Mitte der Vorlage bitte ich die Verwaltung inständig um selbstkritisches Nachdenken. Dort findet sich folgender bemerkenswerte Satz: Bei einer generellen Erhöhung des Km-Kontingents um je 200 km sieht die Verwaltung die Gefahr, dass die bisherigen Power-Nutzer der Fahrfeldvariante als auch der Km-Variante (also Menschen, die ihr Kontingent bzw. ihre Fahrtfelder vollständig oder nahezu vollständig nutzen) auch dieses zusätzliche Kontingent vollständig nutzen werden. Für die Verwaltung sind Menschen, die ihr Recht voll und ganz in Anspruch nehmen, also „Power User“ und daher eine Gefahr. Ich finde das diskriminierend. Diese Sichtweise bedarf dringend einer Revision!

Ab Mitte 2022 werden viele Nutzerinnen und Nutzer mit kognitiven Einschränkungen, die bisher mit der einfacheren FFV unterwegs sein konnten, Hilfe brauchen bei der Kilometerpauschale. Wer wird ihnen helfen, wenn sie nicht in einer Familie leben? Die gesetzlichen Betreuer und Betreuerinnen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Diensten und Einrichtungen,? Viele haben jetzt schon nicht genug Zeit, weil das Personal zu knapp ist.

Das neue Bundesteilhabegesetz stärkt das Recht auf Gewährung des individuell notwendigen Hilfebedarfs jedes einzelnen Menschen mit Behinderung. Das ist gut und richtig. Aber: Wie sollen Leistungsberechtigte, insbesondere die mit kognitiven Einschränkungen, ihren individuellen Mehrbedarf überhaupt überzeugend darlegen? Wie will die Verwaltung sicher stellen, dass über Anträge dann schnell und möglichst unbürokratisch entschieden wird? Wir muten den Menschen viel zu.

Was ist mit den Hilfeberechtigten, denen nach Abzug der Familienheimfahrten die Kilometer nicht reichen für Teilhabe im Alltag?

Hier sind noch eine ganze Reihe von Fragen offen, die mit Sorgfalt bearbeitet werden müssen. Ich hoffe sehr, dass wir bei dieser Arbeit sie, die Mitglieder des Behindertenrats weiter an unserer Seite haben werden, auch wenn der heutige Beschluss nicht dem entspricht, was sie sich erhofft haben. Ich danke ihnen und unserer Behindertenbeauftragten Lydia Bauer-Hechler im Namen der SPD-Fraktion und auch ganz persönlich sehr für ihre kritische und konstruktive Begleitung.

Hier geht es zu unserem SPD-Ergänzungsantrag zum TOP 4

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